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Marla Reisser

Überfälliges und äußerst lesenswertes Buch

Rezension vom 13. September 2018 bei Amazon

Peter Lehmann, ein inzwischen mit Bundesverdienstkreuz und Ehrendoktorwürde ausgezeichneter Autor, hat mit "Neue Antidepressiva, atypische Neuroleptika" ein überfälliges und äu"erst lesenswertes Buch publiziert. Zusammen mit den 3 Ärzten Volkmar Aderhold, Marc Rufer und Josef Zehentbauer informiert er für Laien und für Fachleute leicht verständlich über die modernen Antidepressiva und Antipsychotika. Da sich Lehmann nahezu ausschlie"lich auf Informationen der Herstellerfirmen an Ärzte stützt, die diese eher nicht an ihre Patienten weitergeben, haben seine Aussagen Hand und Fu" und geben die Möglichkeit, den Entschluss zu überdenken, diese Substanzen jetzt oder weiterhin einzunehmen – oder die Finger davon zu lassen.

Mich überzeugte die klare Gliederung des Buches, die leicht auffindbaren Informationen zu den einzelnen Medikamenten, die Erklärung der unerwünschten Medikamentenwirkungen (bin keine Medizinerin) sowie die ansonsten von Ärzten vermutlich nie weitergegebenen Warnungen, bei welchen Symptomen die Medikamente sofort abgesetzt werden müssen. Erschreckend fand ich die Gefahr der körperlichen Abhängigkeit, die diese Medikamente hervorrufen können, denn die Hersteller gestehen sie nur ansatzweise ein, und das Ausbleiben von Informationen, wie man diese Substanzen wieder absetzen kann. Neugeborene, derer Mütter während der Schwangerschaft Antidepressiva oder Neuroleptika nahmen, laufen beispielsweise Gefahr, wegen schwerer Entzugssymptome längerfristig auf Intensivstationen behandelt werden zu müssen. Welch ein böser Start ins Leben! Wenn man sich diese Informationen und die fast schon kriminell zu nennenden absurden Vorgaben anschaut, wie schnell abgesetzt werden könne, wundert man sich nicht, dass Ärzte oder die Patienten vermutlich überwiegend viel zu schnell vorgehen und sich einer hohen Gefahr von Entzugsproblemen und Rückfällen aussetzen: weil sie in Unkenntnis der Gefahren schlicht zu schnell absetzen.

Gut fand ich weiterhin, dass Lehmann all die bekannten Frühwarnzeichen beschreibt, an denen man erkennen kann, dass sich gerade gravierende und gar lebensbedrohliche Störungen als Folge der eingenommenen Psychopharmaka herausbilden. So kann man evtl. noch die Rei"leine ziehen und rechtzeitig absetzen. Zuletzt folgt dann konsequenterweise ein von allen vier Autoren verfasstes Kapitel, wie man vorgehen kann, wenn man diese Substanzen risikoarm absetzen will.

In einem Exkurs beschäftigt sich Peter Lehmann mit der Wiederkehr des Elektroschocks, mit dem künstlich epileptische Anfälle ausgelöst werden – insbesondere bei Frauen und alten Menschen, den beiden Hauptempfängergruppen dieser umstrittenen Ma"nahme. Psychiater setzen sie ein, wenn Antidepressiva und Antipsychotika mit der Zeit ihre Wirkung verlieren, oder wenn sich Patienten weigern, diese Substanzen einsetzen oder wenn sie gegen den Willen der Psychiater abgesetzt und Schiffbruch erlitten haben. Würde meinen Eltern Elektroschocks angeboten, würde ich zuerst einmal in dem Buch nachlesen, mit welchen Risiken und Schäden zu rechnen ist und mit welchen Floskeln Psychiater diese Risiken kleinzuden versuchen... und dann alle Hebel in Bewegung setzen, dass sie von dieser oft mit Hirnschäden und Gedächtnisverlust verbundenen Tortur verschont bleiben.

Alternativen zu Antidepressiva, Antipsychotika und Elektroschocks gibt es viele, auch dafür Dank an das Autorenquartett. Das von einer kritischen, undogmatischen und humanistischen Haltung geprägte Buch mit durchweg belegten wissenschaftlichen Aussagen ist so stark und überzeugend, dass im Geleitwort sogar der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenheilkunde seine Lektüre empfiehlt.

Respekt vor der Leistung von Lehmann und seinen Mitautoren! Nach meiner Meinung haben sie das mit Abstand aussagekräftigste Buch über Psychopharmaka geschrieben, das auf dem Markt ist.

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